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Was ist eigentlich ein Garten?

Er ist Lebensraum. Er ist der erweiterte Wohnraum des Menschen, die Lebensumgebung direkt vor unserer Haustüre. Es kann aber natürlich auch der Park um die Ecke sein. Häufig wird der Garten mit Pflanzen assoziiert, denn Pflanzen stehen für das Natürliche, und der Garten soll zumeist ein Stück Natur in städtische Umgebungen zurückholen.

Es ist aber nicht nur das: Wie die biblische Geschichte des Garten Eden beschreibt, wird der Garten gerne damit assoziiert eine Oase des Einklangs, des Überflusses, des Reichtums, des unendlichen Glücks zu sein, aus dem der Mensch durch Essen der verbotenen Frucht herausgefallen ist. Dadurch haben wir die Idee vom Garten als Ort der Heimkehr, der uns ermöglichen soll, wieder zu diesem Punkt der Einheit mit allem zurückzukommen. Ein hoher Anspruch, nicht?

Viel zu oft jedoch wird der Gartenbauer diesem Ideal nicht gerecht, weil er nicht mehr die Punkte beachtet, die so einen Garten ausmachen. Viel zu oft wird ohne viel Wahrnehmung und Sinn mit Materialen jongliert, die überhaupt keine Bedeutung mehr transportieren, gar nichts mehr aussagen, und den Einzelnen völlig verloren zurücklassen: Pflanzen, die völlig falsche Proportionen aufweisen, Wege, die völlig deplatziert wirken, Raumanordnungen, die den sich im Garten Befindenden zurückstoßen und abweisen, weil sie kein Verhältnis oder menschliches Maß mehr beachten.

Es gibt jedoch eine gute Nachricht: Das Rad braucht nicht neu erfunden werden. Es haben sich in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Konzepte und Gärten der Welt herauskristallisiert, die dem hohen Anspruch von Heimat, aber auch den von Rückzug, Kontemplation, wie Nutzen oder Ertrag bedienen. Ein Garten ist nämlich oft auch ein Ort der tatsächlich körperliche Wünsche ganz direkt durch Früchte und Gemüse bedienen kann. Das sollte man auch nie vergessen.

So vielseitig wie die Ansprüche des Menschen sind, so vielseitig kann sich natürlich auch ein Garten zeigen. Was aber alle vereint ist: Er soll funktional sein, d. h. einen Weg von A nach B, von Grundstücksgrenze zu Hauseingang oder einen Bereich zum Sich-ausbreiten wie eine Terrasse bieten, gleichzeitig aber auch ästhetisch und ansprechend wirken, so daß der sich im Garten befindende Mensch das Gefühl hat, gerne auf diesem Fleckchen Erde zu verweilen, was meist eine intuitive Wahrnehmung ist, ohne Nachdenken direkt erfaßt wird.

Als die Menschen noch draußen in freier Natur lebten, gab es keine Notwendigkeit für einen Privatgarten. Der beste Garten war die Naturlandschaft. Und so verehrten ursprünglich auch alle Kulturen Naturgeister und -götter. Rituale und Zeremonien zu ihren Ehren wurden an besonderen Plätzen in der unverfälschten Natur vollzogen.


Erst mit der Entstehung von menschlichen Siedlungen begann man, private und öffentliche Gärten zu schaffen - im alten China bereits vor 5000 Jahren. Religiöse Rituale und Zeremonien wurden nun im Garten abgehalten. Man opferte Bäumen, Steinen sowie Erd- und Wandergeistern, um sicherzustellen, daß es eine gute Ernte mit reichlich Früchten geben würde und daß die ganze Familie gesund und geschützt war.

- S. 12, „Tao-, Zen- und Feng Shui-Gartendesign“ von Dr. Jes T. Y. Lim

Auch anhand dieser Beschreibung ist zu erkennen, daß ein Garten in seinem ursprünglichen Sinne weit mehr als nur einem materiellen, funktionalen Zweck dient: Er hat unbedingt auch eine religiöse, spirituelle Rolle, wie schon mit dem Garten Eden angedeutet.

Er soll den Menschen aus den Distraktionen und Ablenkungen seines Verstandes, wieder zu sich selber führen und ihm wieder einen Raum geben, der es ermöglicht, sich wieder auf das zu besinnen, was wesentlich ist.

Diese ursprüngliche Intention wurde aber besonders in der westlichen Welt schon lange vergessen. Was die asiatische Gärten heraushebt, ist ihre oft zweckfrei wirkende Ausstrahlung, was insbesondere in den Zen-Gärten zum Vorschein kommt: Schotterflächen, die nicht betreten werden sollten, Steine, die scheinbar völlig willkürlich im Raum platziert erscheinen, Linien im Boden, die keinen großen Sinn zu erfüllen scheinen. So jedenfalls, würde der normale, westlich konditionierte Mensch diese Eindrücke verarbeiten.

In Wahrheit erfüllen sie ihre Wirkung vollends, und kraftvoller als es ein oberflächlicher Betrachter auch nur erahnen kann: Der Zen-Garten hat seinen Wert darin, daß er den Verstand trockenlegt. Eine Wirkung, die deswegen Unmengen kraftvoller ist, weil sie die Aufmerksamkeit schärft, nicht sinnlos belegt. Es geht um den Menschen, der diese Landschaft auf sich wirken läßt, und nicht um die Szenerie als solche.

Ein Garten ist deswegen weit mehr als nur eine Erweiterung des Wohnzimmers: Er ist Übungsraum für das Bewußtsein.

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